Roger Stein
„Roger Stein“
„Lieder ohne mich“

„Geschichten sind der Boden, auf dem meine Lieder wachsen“, sagt Roger Stein. Manchmal liegen diese offen, manchmal verbergen sie ihre Verletzlichkeit zwischen den Zeilen - und manchmal erzählen sie sich von alleine. „Die Lieder werden selbstständig, schon während sie entstehen", erklärt Stein. „Irgendwann machen sie, was sie wollen und ich kann sie nicht mehr aufhalten.“

Bereits vier Alben hat er mit seinem Projekt Wortfront veröffentlicht, das er mit Sandra Kreisler 2006 gegründet und mit dem er schon über 200 Konzerte gespielt hat. Nun präsentiert er mit Lieder ohne mich sein erstes Solo-Album. Dass er diese auf Konstantin Weckers Label Sturm und Klang veröffentlicht, freut ihn ganz besonders: „Wecker ist und war immer ein Fixstern für mich, sowohl künstlerisch, als auch menschlich“, so Stein.

Roger Stein ist Sänger, Songwriter, Pianist und Erzähler zugleich - aber vor allem ist er Poet, schafft er es doch, Schmerz und Melancholie in Wärme und Leichtigkeit zu hüllen und damit der Tragik die Kälte zunehmen. Wie? Indem er der Wirklichkeit mit Humor entgegentritt. „Humor ist das letzte Mittel“, so Stein, „mit dem man gegenüber dem Schmerz Würde bewahren kann.“
MAIN-POST
  Ausgabe Karlstadt
  vom Montag, den 13. April 2015

von Robert Emsden
Von Amöben und Grillwürsten
Songwriter Roger Stein gibt umjubeltes Gastspiel in der Gerbergasse

Eine Sekunde - allerhöchstens zwei - dauerte es, bis Roger Stein mit seinem Publikum in der Gerbergasse eine familiäre Einheit der gegenseitigen Empathie gebildet hatte. Das lag zum einen an der weltoffenen Risikobereitschaft der Theaterbesucher in Bezug auf das angekündigte Programm: Roger Stein „Lieder ohne mich“, aber vor allem daran, dass der Künstler es mit seiner unkomplizierten und sympathischen Art verstand, auf Anhieb positive musikalische wie auch emotionale Schwingungen im Raum entstehen zu lassen.

Schwarm der Damen

Freilich war es hierbei nicht hinderlich, dass der schwarz gelockte Berliner schon vom äußeren Erscheinungsbild wie dafür geschaffen war, alle anwesenden Damen mit noch unerfüllten Schwiegermutterambitionen gehörig schmachten zu lassen. Ungeachtet dessen aber überzeugte der in Berlin-Kreuzberg lebende Sänger, Songwriter, Pianist, Erzähler und Poet vom Beginn an mit einer breite Palette von herrlichen Kostproben aus seinem Projekt „Wortfront“, das er 2006 mit Sandra Kreisler gegründet hatte und mit der er bereits über 200 Konzerte gespielt hat.

Dazu schöpfte Stein - wie angekündigt - kräftig aus seinem ersten Soloalbum „Lieder ohne mich“, das er nun auf Konstantin Weckers Label „Sturm und Klang“ veröffentlicht hat und der für den Berliner künstlerisch wie menschlich ein Fixstern ist und war, so Stein. Dabei begleitete er sich selbst ausgesprochen virtuos auf dem Klavier oder „bügelte“ über das Mikrofon gleich mehrere Gesangsspuren nacheinander auf einen sogenannten „Looper“, und sang live dazu weiter, während die aufgenommenen Spuren in der Endlosschleife als Hintergrundchor zu hören waren.

Von der technischen Handhabung auf der Bühne eine nicht ganz risikofreies Unterfangen, doch der Solokünstler Stein verstand es stets glänzend, aus den wenigen kleinen Kapriolen der Technik Kapital zu schlagen. Auch verstand er es, mit seinen Liedern Schmerz und Melancholie in Wärme und Leichtigkeit zu hüllen und mit Humor der häufigen Tragik des menschlichen Daseins die Kälte zu nehmen.

Einfach köstlich

Einfach köstlich, die Darstellung von Schiller und Goethe, die sich am Grill wegen einer Bratwurst zanken und wo am Ende Schiller dem Goethe die Wurst vom Wilhelm Teller klaut. Oder die Vorstellung von der frustrierten Amöbe Ferdinand: „Die hätte sich so gern gepaart, doch da hat die Natur gespart - die konnte sich nur teilen.“ Und dann die Feststellung, dass es beispielsweise in Argentinien um den Tango geht und in Kolumbien um das Kokain, und bei uns in Deutschland geht es „ums Prinzip!“

Obwohl in Steins Programm die herbeigedichtete fiktive Tierwelt bereits einen hohen Stellenwert einnimmt, versuchte er in einem kurzen und spontanen „Interaktions-Workshop“ seinen Zuhörern weitere verwertbare Anregungen zu entlocken und schreckte auch nicht davor zurück, als Belohnung hierfür ein Glas Wein und ein Bier an der Theke in Aussicht zu stellen. Da ließ sich eine ältere Dame aus der ersten Reihe nicht zweimal bitten und trug einwandfrei und aus dem Gedächtnis das Gedicht von der „Katze Mohrle“ vor und anschließend - weil doppelt immer besser hält - das Gleiche noch einmal als Lied. Auch der tosende Applaus des Publikums diente dazu, Stein zu überzeugen. „Also, gut, das gilt! Vielen Dank!“

Bei den zum Teil selbstkritischen Liedern über problematische Zweierbeziehungen wollte man dem Künstler nur ungern irgendwelche Anflüge von Gefühlskälte abnehmen: „Ich bin nicht romantisch, sondern ziemlich dilettantisch. Es ist mir ehrlich peinlich, dass ich Sehnsucht nach dir hab'“ oder „Ich muss weiter, weil mein Herz aus Freilandhaltung stammt. Vielleicht sind alle unsere Werte nur auf Dünneis gebaut.“

Fünf Zugaben

Nach insgesamt fast zwei Stunden und ganzen fünf Zugaben ließ das immer wieder lautstark applaudierende Publikum den sympathischen Berliner von der Bühne gehen. Bald darauf begab er sich in Richtung Theke, wo er bei einer sangesfreudigen und sicherlich freudestrahlenden älteren Dame ein Versprechen einzulösen hatte.